Villa Kradolfer
Zwischen weitläufigen Gartenanlagen finden sich im Kreis 1 in Winterthur romantische Villen in den unterschiedlichsten Stilen. Die ersten Anlagen entstanden im 18. Jhdt. als einigeFamilien vor die Tore der Stadt zogen und so vom Staub, Lärm und Gestank der neuen Industrien flüchteten. Ihre Gärten waren meist im französischen Stil gestaltet. Sie sollten einen Kontrast zur natürlichen Landschaft oder den landwirtschaftlichen Feldern der Umgebung darstellen. Das neue Bürgertum des 19. Jhdt., die Fabrikherren und Industriebarone, die sich politisch der demokratischen Bewegung zuordneten, eiferten in ihren Villenbauten den Patriziern und Adligen des 18. Jhdt. nach.
Das hier thematisierte Wohnhaus ist stilgeschichtlich wertvoll und prägend für dieses Villenviertel, es wurde in den 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts für die Industriellen Familie Kradolfer erstellt. Der bekannte Winterthurer Architekt Lebrecht Völkl zeichnet sich für dieses - wie auch diverse andere Wohnbauten in der nahen Umgebung - verantwortlich. Lebrecht Völkl zählt zu den bedeutendsten Winterthurer Architekten in der ersten Hälftedes 20.Jhdt. Er strebte in der Gestaltung seiner Baukörper nach Klarheit und Einfachheit. Seine Fassadengliederungen waren streng rhythmisch, seine Gebäudestrukturen folgten schlüssigen, sachlichen Überlegungen zu Abläufen und Nutzungen.
Das zweigeschossige, symmetrisch gegliederte Einfamilienhaus steht inmitten eines kleinen Parks. Das Haupttor zur Anlage liegt seitlich zum Wohngebäude und so ist auch der leicht erhöhte Haupteingang an die seitlichen Stirnflanke des Baues gesetzt. Die Erschliessung der Wohnräume erfolgt in der Achse dieses Eingangs. Das einstige funktionale Raumprogramm mit Anspruch auch auf repräsentative Anforderungen ist erhalten geblieben.
Die drei grossen Haupträume des Erdgeschosses fliessen in einer Enfilade ineinander über: der grosse, zentral gelegene Wohnraum mit monumentalem Blick in den Garten, rechts davon das Klavierzimmer,links davon das Speisezimmer, durch grosse doppelflügelige Türanlagen miteinander verbunden. Die Küche schliesst sich direkt an das Esszimmer an. Hier wurde dem Wunsch der Bauherrschaft nach mehr Verbindung zwischen dem Kochen und dem gemeinsamen Speisen Rechnung getragen und ein Durchgangerstellt, der in Proportion und Grösse den bereits vorhandenen gleicht.
Die geräumige Küche wurde an ihrem historischen Standort belassen und um die kleine Kammer erweitert, die früher wohl für administrative Zwecke genutzt wurde. Heute prägt die Reihe der vier Fenster zum rückwärtigen Garten hin die Erscheinung der Küche. Ein innenräumlicher Rahmen höht dieses Bild und bietet gleichzeitig Raum für die notwendigen Gerätschaften in diesem Werkraum. Zentral im Raum: der Herd dieser Küche mit der grossen, mittigen Werkbank. Der Garten bleibt direkt von der Küche erschlossen.
Vom Korridor führt - gleich nach Hauseingang und Garderobe - eine gewendelte Treppe ins Obergeschoss zu den privaten Rückzugsräumen. Gästezimmer, Schlafzimmer, eine Ankleide, zwei Badezimmer reihen sich um eine offene, lichtdurchflutete Erschliessungszone. Das bestehende Badezimmer wurde behutsam in seiner Strukturangepasst. Der Boden als Terrazzo erneuert, die Fliesen in historisch korrektem Kontext adaptiert, Waschtischmodelle im Look der 30iger Jahre ergänzt. Ein zweites, kleineres Badezimmer, nahe dem Gästezimmer, wurde mit einer freistehenden Wanne komplett neu erstellt. Für die Ankleide, die auch als home office benutzt wird, wurde eine Zwischenwand entfernt. Der Raum erstreckt sich nun über die gesamte Länge des vorgelagerten Balkons. Auch hier wurden dieSchrankeinbauten dem Duktus der bestehenden Holzverkleidungen angepasst, dasSchrankinnere spielerisch mit modernen Hologramm Folien ausgekleidet.
Fast versteckt hinter einer profilierten Holztür findet sich der schmale Aufgang zum eindrücklichen Dachgeschoss. Das hohe, steile noch heute mit Biberschwanzziegel gedeckte Walmdach schliesst nach aussen die elegante Silhouette des Hauses ab. Der Dachaufbau blieb im Inneren bis zum Umbau in seiner imposanten Holzkonstruktion offen und ungedämmt. Um diesen besonderen Raum in seiner ursprünglichen Kraft und Identität nicht zu schwächen, ihn aber dennoch partiell nutzbar zu machen, wurde die Idee eines gläsernen Ateliers realisiert. Drei Flanken und der Deckenabschluss wurden sorgfältig in einer feinen Glas Stahl Konstruktion als Kubus mittig im Dachgeschoss positioniert, die Rückwand als raumhohe Regalwand ausformuliert. Die Holzkonstruktion bleibt dadurch weiterhin erfahrbar und wird durch eine behutsam integrierte Beleuchtung zusätzlich in Szene gesetzt. Eine grosse, leuchtende Kugel setzt in diesem Raumvolumen ein poetisches Moment. Entstanden ist ein authentischer saisonalgenutzter Rückzugsort, der die historische Baustruktur mit der modernen Lebensführung sinnvoll und harmonisch vereint.
Im ganzen Haus wurden sämtliche Holzböden fachgerecht aufgearbeitet, die gewendelte Treppe restauriert, Empfang, Küche und Bäder mit einem Terrazzoboden versehen, Wände und Decken behutsam aufgefrischt. Die für die damalige Zeit technisch innovative, doppelschalige Konstruktion der Gebäudehalle ermöglichte heute eine Einblasdämmung des Hauses mit Polystyrol Perlen. Der denkmalgeschützteGarten wurde gelichtet und seinem ursprünglichen Bild entsprechend adaptiert.
Mit wenigen, gezielten Eingriffen und in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege wurde diese zeitlose Villa den Bedürfnissen der neuen Eigentümer angepasst und die historischen Strukturen in ihrer Erscheinung gestärkt. Heute besticht das Ensemble im Inneren wie im Äusseren durch eine selbstverständliche Erneuerung, die dem Leben der heutigen Bewohner adäquaten Raum bietet.
Bauherrschaft:
Privat
Innenarchitektur:
Atelier ushitamborriello Innenarchitektur_Szenenbild, Baden
Baumanagement:
Zettelwerk AG, Winterthur
Lichtplanung:
Lichtkompetenz GmbH, Zürich